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Vor einem Jahr haben wir trotz Ukraine-Krieg, Lieferkettenproblemen und Inflation zuversichtlich ins neue Jahr geblickt, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Inzwischen hat sich die Perspektive verdüstert. Von einem Sieg über Russland spricht niemand mehr. Hat der Westen ein überzeugendes Konzept? Braucht es einen neuen eisernen Vorhang, um für den freien Teil der Ukraine eine glaub würdige Sicherheitsgarantie zu geben? Erleben wir in Syrien ein Déjà-vu wie nach dem Sturz Gaddafis in Libyen? In den USA könnte der Protektionismus ein Comeback er leben. Deutschland und Frankreich sind geschwächt und damit auch die EU als Verhandlungspartner der USA. Die deutsche Industrie wartet in der Flaute auch weiterhin auf positive Impulse aus China. Mit großen finanziellen Unterstützungen seitens der dortigen Zentralregierung und der Regionalregierungen ist nicht zu rechnen, da den bisher großzügigen Regionalregierungen durch die Immobilienkrise die Einnahmen aus der Privatisierung staatlicher Grundstücke wegbrechen. Lediglich die chinesische Zentralbank kann mit deutlichen Zinssenkungen unterstützen. Gleichzeitig drängen infolge chinesischer Überkapazitäten immer mehr chinesische Waren auf den internationalen Markt, inzwischen durchaus mit Qualitätsstandards wie sie im Westen üblich sind. Und über allem schwebt das Damoklesschwert eines eskalierenden Taiwan-Konfliktes.

STABILE BANKEN SIND WICHTIGE VORAUSSETZUNG

Obgleich es der Wirtschaft in der EU, insbesondere in Deutschland, nicht gut geht, steigen die Aktienkurse rasant. Für das erneute Aufblühen der Wirtschaft ist die Stabilität der europäischen Banken eine wichtige Voraussetzung. In ihrem neuesten Finanzstabilitätsbericht bestätigt die EZB den europäischen Banken nicht nur eine hohe CET-1 Ratio, sondern darüber hinaus erhebliche freiwillige Kapitalpuffer. Trotz der Kursavancen von Bankaktien im letzten und diesem Jahr verbleibt die Price-Book Ratio unter 0,8. Weltweit sind Banken im Vergleich zu anderen Branchen besonders schlecht bewertet.

Ein Blick auf die Jahresüberschüsse nach Steuern aller deutscher Kreditinstitute in den letzten 25 Jahren zeigt ein sehr gemischtes Bild. Von Jahr zu Jahr schwanken die Jahresüberschüsse stark – teils mit Ausrutschern in den negativen Bereich. Die deutlich gestiegenen Überschüsse im Jahr 2023 werden sich kaum wiederholen. Ohne das Jahr 2023 ist ein klarer positiver Trend der Gewinnentwicklung in den letzten 25 Jahren nicht erkennbar. Dies wirft die Frage auf, ob es neue Geschäftsfelder gibt, die die Banken aus dieser Lähmung befreien können – trotz Zunahme der Regulierung und des Wachstums von Schattenbanken.

FIRM-BEIRAT ERGREIFT INITIATIVE


Es wäre schön, wenn die diversen Diskussionsrunden von FIRM dazu bei tragen würden, neue Wege aus dieser Situation zu finden. Zahlreiche aktuelle Diskussionsrunden wurden von FIRM angestoßen und werden im neuen Jahr weiter vorangetrieben. Auch der Beirat beteiligt sich hieran intensiv. Ein kurzer Rückblick auf das ablaufende Jahr dokumentiert die Vielfalt der Themen und Herausforderungen. Detailliertere Berichte zu den Beiratssitzungen finden sich in den zeitnahen Ausgaben des Newsletters.

Auf der ersten Beiratssitzung im Februar 2024 Vortrag gab Katharina Hombach, Professorin für Financial Accounting and Corporate Governance an der Goethe-Universität in Frankfurt, einen Überblick zu den aktuellen ESG-Reportingstandards mit dem Schwerpunkt „ESRS – European Sustainable Reporting Standards“ und diversen Ansätzen, diese Standards in der Praxis umzusetzen. Anschließend erläuterte der Beiratsvorsitzende Dr. Wilfried Paus (Deutsche Bank), welche Anforderungen die Implementierung der neuen Kapitalanforderungen nach CRR III in der Steuerung der operationellen Risiken mit sich bringt. Hier erschwert der Übergang vom verlustverteilungsbasierten AMA- auf den standardisierten Messansatz (SMA), der ab 2025 das AMA-Modell ersetzen wird, Entscheidungsprozesse zur Risikoverteilung. Zum Abschluss der Beiratssitzung stellte Dr. Christoph Wronka von Deloitte das aktuelle Positionspapier des Asset Management Round Tables „Krypto assets und Digital Ledger Technology“ vor. Das Positionspapier zeigt Handlungsempfehlungen für Vermögensverwalter auf, die für eine erfolgreiche Integration von DLT und digitalen Assets in ihre Geschäftsmodelle
entscheidend sind.

FIRM VERGIBT FORSCHUNGSPREIS


Auf der Mitgliederversammlung im März analysierte FIRM-CEO Gerold Grasshoff, wie geopolitische Risiken auf die Bankenindustrie wirken. Jens Wilhelm von PeakBlau tauchte anschließend in die vielschichtigen Risiken, die derzeit am Immobilienmarkt lauern, tief ein. Die anschließenden Beiratssitzung beschäftigte sich dann mit der Frage, wie persönliche Kommunikation im Forderungsmanagement wirkt. Insbesondere ging es um einen Vergleich der Erfolgsaussichten verschiedener Methoden, säumige Schuldner zur Zahlung zu bewegen. Dazu waren Prof. Dr. Christine Laudenbach vom SAFE-Institut und Dr. Marcus Siegl von Intrum zu Gast.

Auf der FIRM-Forschungskonferenz im Juni präsentierten zunächst drei ausgesuchte junge ForscherInnen die wesentlichen Ergebnisse ihrer Dissertationen. Wer am Ende das Rennen um den FIRM Forschungspreis macht, ist jedes Mal spannend. In diesem Jahr war es Dr. Sasan Mansouri, der an der Goethe-Universität promovierte und von Prof. Dr. Mark Wahrenburg betreut wurde. Grundlage seiner Forschung bilden Fragen und Antworten in Telefonkonferenzen von Unternehmen mit Finanzanalysten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Finanzmärkte negativ reagieren, wenn Manager den Informationsfluss durch sogenannte „Non-Answers“ behindern.
Die zweite Dissertation stammte von Dr. Alina Stehskova, die an der Wirtschaftsuniversität Wien promovierte. Sie untersuchte in ihrer Doktorarbeit die Transmission geldpolitischer Entscheidungen des Federal Reserve Board in den
Finanzmärkten, insbesondere den Zusammenhang zwischen Wechselkursen, Zinssätzen und Aktienkursen. Unser dritter Preiskandidat Dr. Urban Ulrych erweiterte in seiner an der Universität Zürich verfassten Dissertation innovative
Anwendungen statistischer Lernmethoden im quantitativen Finanzwesen. Er liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Verbindung theoretischer und numerischer Entwicklungen im Finanzwesen.

Mansouri erhielt den mit 15.000 Euro dotierten Forschungspreis, ebenso wie sein Betreuer. Stehskova, Ulrych und ihre Betreuer erhielten jeweils 1.000 Euro.

SPANNENDE VORTRÄGE BEI DER FORSCHUNGSKONFERENZ


Bei der Forschungskonferenz und der anschließenden Beiratssitzung ging es um eine ganze Bandbreite von Themen: Dr. Franziska Hünnekes und Petra Köhler-Ulbrich (EZB) haben auf Grundlage eines großen Bank-Firmen-Panels untersucht, welche Determinanten die Kreditstandards von Banken beeinflussen. Die Studie zeigt, dass Banken mit einer risikoträchtigeren Klientel von KreditnehmerInnen ihre Kreditstandards bei steigenden Risiken stärker verschärfen – außer wenn die Bank selbst finanziell sehr stabil ist.

Mit Einblicken rund um die Grundlagen und aktuellen Entwicklungen im Quantencomputing konnte Tim Schneider (Deutsche Bank) die TeilnehmerInnen in seinen Bann ziehen. Die Ära des Quantencomputers naht und mit ihm Chancen und Risiken. Als wichtiges Thema für Banken sieht Schneider vor allem die Auswirkungen des Quantencomputings auf die Verschlüsselungstechniken.

In einem Positionspapier untersuchte der Round Table ESG, wie die unterschiedlichen Ansätze der Europäischen Union (EU) und der Vereinigten Staaten (USA) in der Klimapolitik wirken und welche wirtschaftlichen Risiken und Chancen sich daraus ergeben. Die Autoren Dr. Til Bünder und Nicholas Martin stellten die wesentlichen Aussagen vor. Prof. Michael Nietsch verbrachte einige Wochen in Washington D.C., um sich vor Ort ein Bild über den Status-quo und wichtige Entwicklungen in der Klimaregulierung zu machen. Sein Bericht umspannte die Regeln der SEC, die spezifischen Klimaoffenlegungsvorschriften Kaliforniens und eine Bewertung der zukünftigen Relevanz dieser Vorschriften.

HERBSTKONFERENZ IN DER VILLA METZLER


Die Runde der Beiratssitzungen endete im September im historischen Herrenhaus der Bankiersfamilie Metzler in Alt-Bonames. Die Gastfreundschaft und herrlicher Sonnenschein gaben unserer Herbstkonferenz einen besonderen
Rahmen.

Nach der freundlichen Begrüßung durch Stefanie Buchmann, Mitglied des Vorstands Bankhaus Metzler, startete Joshua Jung von ING Deutschland mit dem Thema: „Why ESG Matters“. Jung zeigte auf, dass sich das Blatt in der kommenden Legislaturperiode wohl wenden werde. Dann stehe nicht mehr der Klimaschutz, sondern die Wettbewerbsfähigkeit ganz oben auf der Agenda.


Trotzdem werde Dekarbonisierung zur wirtschaftlichen Realität. Prof. Dr. Josef Scherer von der Technischen Hochschule Deggendorf befasste sich in seinem Beitrag „Governance für weniger Haftungsrisiken“ mit den aktuellen Anforderungen im Bereich Governance. Als zentralen Punkt sieht er hier die zunehmende Bedeutung von verschärften Haftungsrisiken
für Führungskräfte.

Dr. Michael Riecker und Saed Alavi von Protiviti referierten über „Penetrationstests für mehr digitale Resilienz“, mit dem Fokus auf die praktische Anwendung von Open Source Intelligence (OSINT) im Kontext des Digital Operational Resi
lience Act (DORA). Zur Stärkung der digitalen Resilienz gehören zum Beispiel Angriffssimulationen, um Schwachstellen in den Sicherheitsmaßnahmen eines Finanzinstituts aufzudecken.

THEMEN AUS DER PRAXIS UND VIEL RAUM FÜR DISKUSSION


In ihrem Vortrag „Auslagerungen im Finanzsektor: Überwachung kritischer IT Drittanbieter“ betonte Dr. Sibel Kocatepe von der BaFin die wachsende Abhängigkeit des Finanzmarktes von IT-Dienstleistungen und den damit verbundenen Risiken. Umso wichtiger sei eine Überwachung der Auslagerungen. Seit 2022 müssen Finanzinstitute in Deutschland ihre wesentlichen Auslagerungen anzeigen, um eine bessere Übersicht über kritische Abhängigkeiten zu ermöglichen
und vorzubeugen.

Dr. Sebastian Fritz-Morgenthal von Advisense thematisierte in seinem Beitrag „Vom individuellen Fehlverhalten zur Unternehmenskrise“ den Übergang von organisatorischem Fehlverhalten hin zu organisatorischer Resilienz. Anhand
prominenter Beispiele zeigte er, wie individuelles Fehlverhalten, Gruppenmechanismen und organisatorische Schwächen zu großen Skandalen und Unternehmenskrisen führen können. Dann offerierte er Konzepte für organisatorische Resilienz.

Den Abschluss machten Hannah Dimpker und Mark Rosenberg von Fitch mit ihrem Vortrag „Geopolitische Risiken aus Sicht einer Ratingagentur“. Sie nutzen moderne Datenanalyse- und maschinelle Lerntechnologien, um politische Risiken in Echtzeit zu messen und vorherzusagen. Durch die Kombination von großen Datenmengen, maschinellem Lernen und Expertenwissen erstellen sie detaillierte und fortlaufend aktualisierte Risikobewertungen für Länder, Märkte und politische Ereignisse weltweit.

Beschlossen wurde die Herbstkonferenz mit einer Führung durch die Villa Metzler und einem kulinarisches Abendessen.

AUSBLICK TERMINE 2025

Auch 2025 wird der FIRM-Beirat wieder aktiv die aktuellen Entwicklungen in und um die Finanzwirtschaft begleiten. Folgende Veranstaltungen sind dabei vorgesehen:
• 30. Januar nachmittags: Online-Sitzung des Beirats (Einladung bereits versandt).
• 12. März nachmittags: FIRM-Mitgliederversammlung und anschließende Beiratssitzung im House of Finance
• 5. Juni ganztägig: FIRM-Forschungskonferenz sowie anschließend Beiratssitzung in der Frankfurt School
• 25. September ganztägig: Abschließende Beiratssitzung des kommenden Jahres, auf Einladung bei der ING Bank in Frankfurt am Main

Auf die diversen Round Tables, die ebenfalls mehrfach im kommenden Jahr tagen werden und die das thematische Rückgrat unseres Beirats bilden, macht FIRM separat aufmerksam.
Wir freuen uns auf Ihre aktive Teilnahme an den Sitzungen, insbesondere auch auf Ihre Vorschläge für Themen, die Sie spannend finden. Ganz besonders freuen wir uns, wenn Sie sich selbst mit einem Vortragsangebot bei uns melden.

Ihre
Günter Franke und Wilfried Paus