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Von Clemens Wieck | Jan Schneider | Uwe Dahlmeier

Viele Banken in Deutschland und Europa haben die Entwicklung und Analyse von Klimaszenarien im Rahmen von Kapitalplanung und Stresstests in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt. Grundlage sind hierbei meist Szenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS) oder der internationalen Energieagentur (IEA). Mit wachsendem Verständnis der Wirkungskanäle von Klimarisiken zeigt sich jedoch, dass insbesondere kurzfristige und disruptive Effekte in solchen Szenarien nicht adäquat abgebildet sind, was die Integration der entsprechenden Risikotreiber in Kapitalplanung und adversen Szenarien des ICAAP der Banken erschwert. Fortgeschrittene Institute arbeiten derzeit an neuartigen Lösungen, auf Basis von NGFS oder alternativer Modellansätze, von denen der Markt in der Breite lernen kann, um die Integration von Klimarisiken in die Banksteuerung zu stärken.

Mit dem Klimawandel verbundene Risiken haben im Finanzsektor stark an Bedeutung gewonnen. Auswirkungen sowohl des Klimawandels als auch der Transition zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft manifestieren sich schon heute und können sich weiter verstärken. Insbesondere kurzfristige Risiken, die durch mögliche disruptive Entwicklungen über die nächsten drei bis fünf Jahre getrieben sind, werden jedoch bislang unzureichend abgebildet und berücksichtigt. Die Integration konsistenter Kurzfrist-Szenarien in Steuerungselemente wie den normativen ICAAP könnte aufzeigen, dass die mit der Transition verbundenen Risiken und Chancen deutlich größer sind, als bisherige Ansätze suggerieren, und ist deshalb unabdingbar als Element eines vorausschauenden Risikomanagements.

“If the only tool you have is a hammer” – Langfrist-Szenarien und optimale Pfade

Eine weltweite Markt-Studie von KPMG 1 zeigt, dass im Jahr 2023 mehr als 90% der befragten Banken aktiv an Klimarisikostresstests arbeiten, wobei die Klimaszenarien des NGFS 2 oder leicht angepasste Varianten bei mehr als 70% der Banken zum Einsatz kommen. Auch die EZB hat sich im Klimastresstest 2022 auf NGFS gestützt. Verglichen mit anderen adversen Makro-Szenarien, bspw. aus dem EBA-Stresstest, zeigt sich jedoch, dass in den auf NGFS basierenden Szenarien lediglich milder Stress für die Gesamtwirtschaft entsteht.

NGFS bietet Langfrist-Szenarien mit einem Horizont bis 2100, die auf der Grundlage von sozio-ökonomischen Narrativen die Transition beschreiben. Die zur Quantifizierung der Szenarien verwendeten linearen Modelle simulieren kostenminimale Pfade für die Entwicklung des Energiesystems. Wichtige Treiber kurzfristiger Risiken werden in diesem Rahmen nicht abgebildet – insbesondere die Möglichkeit disruptiver Entwicklungen, also ein kurzfristiges Auseinanderfallen von Markterwartungen und realen Entwicklungen, steigende Volatilität und nicht-lineare Dynamiken. NGFS reagiert bereits auf dieses Defizit und hat ein Konzeptpapier vorgelegt, in dem die Notwendigkeit spezifischer Kurzfrist-Szenarien und alternativer Modellansätze betont wird. In dem Papier werden fünf Narrative für Kurzfrist-Szenarien entwickelt, die im nächsten Schritt quantifiziert werden3. Die neuen Szenarien sind ein wichtiger Schritt, offenbaren jedoch ein weiterhin zu enges Verständnis von Transitionsrisiken als Schwankungen um langfristige Pfade mit einem starken Fokus auf CO2-Preise.


Umfassende, führende wissenschaftliche Analysen zeigen einen charakteristischen, empirisch basierten Verlauf von Techno-logietransitionen. Zu Beginn ist die Entwicklung neuer Technologien exponentiell, getrieben durch Fortschritt in Wissenschaft und Fertigung sowie der Größe des Marktes, bis zur Marktabdeckung von ~50%. Erst danach wird die Entwicklung linear, um zum Schluss gegen den Markt zu konvergieren.
Dieses Verhalten liefert im Modell der Dr. Dahlmeier Financial Risk Management AG, basierend auf einem an der Univer-sität Oxford entwickelten Ansatz, auch Erwartungswerte für die Energie-Transition, siehe Abb. 01. Entsprechend dieses Modells wir die exponentielle Entwicklung wahrscheinlich bis 2034 anhalten. Die erneuerbaren Energien (EE) werden bis dahin, selbst unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs durch E-Mobilität und Wärmepumpen, den weltweiten Strombedarf decken. Zusätzlich wird dieser Wandel durch hohe Effizienzgewinne aus der Ablösung traditioneller Technologien begleitet, so dass der Primärenergiebedarf bis ca. 2033 zurückgeht, ohne zusätzliche Knappheit der verfügbaren Endenergie.


Risikotreiber Politik, Konsum, Technologie – mehr als CO2-Preise

In der Klimapolitik wird eine Vielzahl von Instrumenten eingesetzt, deren wirtschaftliche Auswirkungen nicht durch CO2-Preise repräsentiert werden können – die aber dennoch im Risikomanagement von Banken reflektiert sein sollten. Die EU setzt neben dem Emissionshandel auf die direkte Förderung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz. Daneben wurde mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) die Einführung von Zöllen auf den Kohlenstoffgehalt bestimmter Güter beschlossen. Die US-Regierung verzichtet auf CO2-Preise und setzt mit dem Inflation Reduction Act auf massive Subventionen erneuerbarer Energien und öffentliche Investitionen.

Eine wichtige Dimension ist zudem die Wechselwirkung der Transition mit weiteren Risikotreibern. Bspw. entstehen neue kritische Lieferketten, wodurch sich geopolitische Interessen signifikant verschieben. Auf der Angebotsseite fossiler Energien verschärfen sich die Risiken ohnehin volatiler Märkte. In der Handelspolitik entstehen neue Spannungen – bspw. über den CBAM der EU4, Zölle auf Stahl5 und E-Autos6 – die sich zu Handelskonflikten aus-weiten können. Auch physische und mit der Transition verbundene Risiken stehen in Wechselwirkung. So sorgt eine Dürre in China für einen Rückgang an Strom aus Wasserkraft und treibt Energiepreise nach oben, mit entsprechenden Auswirkungen auf Produktion und Lieferketten7 [7].

Änderungen im Konsumveralten haben ebenfalls disruptives Potential, indem Marktanteile kohlenstoffarm hergestellter Güter steigen können, selbst wenn die Produktionskosten noch nicht kompetitiv sind. Dies lässt sich im Bereich der E-Mobilität und bei „grünem“ Stahl beobachten.

Technologischer Fortschritt ist zentral, nicht nur für die Geschwindigkeit der Transition, sondern auch ihre ökonomischen Auswirkungen – auf Energiepreise, Lieferketten, Wettbewerbsfähigkeit. In Box 1 wird ein alternatives Szenario der technologischen Entwicklung im Energiesektor beschrieben und quantifiziert. Beispiele wie diese zeigen, dass alternative Lösungsansätze bereits heute existieren, und durch Banken weiter analysiert und in die Werkzeuge der Banksteuerung integriert werden können.

Fazit und Ausblick

Aktuell verfügbare NGFS-Szenarien eignen sich konzeptionell nicht für eine angemessene Bewertung kurzfristiger Klimarisiken, die durch die Möglichkeit disruptiver Entwicklungen in Politik, Technologie und Konsumverhalten bestehen. Insbesondere der starke Fokus auf CO2-Preisentwicklungen vernachlässigt wichtige Risikotreiber, wie bspw. eine beschleunigte, durch fallende Kosten getriebene Transition.

Banken stehen vor der Herausforderung, einen effektiven Rahmen zur Identifizierung und Bewertung kurzfristiger Klimarisiken zu entwickeln. Dem können sich Institute nun in drei Schritten nähern:

1. Identifikation kurzfristiger Wirkungskanäle, denen sie potenziell materiell ausgesetzt sind – bspw. strukturiert nach Portfolien, Sektoren und Regionen.

2.  Stärkung des Frameworks für Sensitivitätsanalysen, um die Wirkungskanäle und deren Auswirkung auf materielle Risikoarten quantifizieren zu können – inklusive der in diesem Artikel beschriebenen kurzfristigen, disruptiven Effekte.

3. Integration der wesentlichen Sensitivitäten in das Szenario-Framework, bspw. durch Kombination der in Box 1 beschriebenen Effekte und weiterer relevanter Narrative mit makroökonomischen Szenarien, um realistische Auswirkungen der Transition in Geschäfts- und Kapitalplanung berücksichtigen zu können.

Die in diesem Artikel aufgezeigten Beispiele demonstrieren, dass solche Ansätze bereits heute vorhanden und durch Banken nutzbar sind.

  1. KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, „ESG in der Praxis: Ergebnisse aus der globalen Bankenumfrage,“ [Online]. Available: https://kpmg.com/de/de/home/insights/2023/12/esg-risk-management-in-banks.html. [Zugriff am 31 12 2023]. ↩︎
  2. NGFS, „Network for Greening the Financial System,“ 4 12 2023. [Online]. Available: www.ngfs.net. [Zugriff am 4 12 2023]. ↩︎
  3. NGFS, „Conceptual note on short-term climate scenarios,“ 2023. ↩︎
  4. A. Lv und D. Patton, „China steel association says EU carbon tax a new trade barrier, calls for more talks,“ Reuters, November 2023. ↩︎
  5. J. Olk, M. Koch und A. Meiritz, „USA und EU wollen Stahl-Strafzölle weiter ausset-zen,“ Handelsblatt online, October 2023. ↩︎
  6. L. Backovic, S. Gusbeth, M. Fasse, F. Hubik und M. K. und Julian Olk, „EU droht China mit Zöllen auf E-Autos,“ Handelsblatt online, September 2023. ↩︎
  7. J. Kemp, „Beset by drought, China turned to coal to keep lights on,“ Reuters, July 2023. ↩︎