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Wie geopolitische Risiken auf Banken wirken

Bei der FIRM-Mitgliederversammlung 2024 ging es nicht nur um Formales. Diskutiert wurde über geopolitische Risiken und wie Banken ihr Risikomanagement darauf ausrichten können. Der zweite Schwerpunkt galt der aktuellen Immobilienkrise, die weit mehr Risiken mit sich bringt als Zinsänderung und Bewertung.

„Die Frage, wie geopolitische Konflikte auf die Finanzindustrie wirken und wie wir uns in der Risikosteuerung darauf vorbereiten müssen, steht 2024 im Fokus. Das gilt für FIRM wie für viele andere national und global agierende Institutionen“, erläutert Gerold Grasshoff im Rahmen seines Vortrags bei der FIRM-Mitgliederversammlung. Als Beispiel nennt er das Institute of International Finance. Auch deutsche Aufseher haben das Thema längst auf der Agenda. So war der FIRM­CEO jüngst zu Gast beim Fachbeirat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, um über geopolitische Risiken zu sprechen.

SZENARIEN BESCHREIBEN, SENSITIVITÄTEN DISKUTIEREN

Zunächst zeigt Grashoff die relevanten Krisenherde auf: China, Russland-Ukraine, Israel­-Hamas, Iran, Nordkorea. Zudem müssen die Auswirkungen aus den bevorstehenden US­Wahlen im Risikomanagement diskutiert werden. „Damit wir uns in der Risikosteuerung auf die Auswirkungen dieser Krisen vorbereiten können, gilt es, Szenarien zu beschreiben und Sensitivitäten zu diskutieren“, führt Grass­ hoff aus. Für seine Analyse nimmt er die Risiken ins Visier, die für die Finanzindustrie zentral sind: Kredit­, Markt­, Liquiditäts­, Sanktions­ und Cyber­Risiken.

FIRM-­CEO Gerold Grasshoff analysiert die Auswirkungen geopolitischer Krisen auf die Bankenindustrie.

MATERIALITÄT DER RISIKEN JE NACH KONFLIKT UNTERSCHIEDLICH

Die Übersetzung der geopolitischen Risiken in konkrete Risiko­arten für die Finanzindustrie kann anhand verschiedener Schlüsselindikatoren erfolgen: direktes Risikoexposure, in­ direktes Risikoexposure über Forderungen aus Direktinvestitionen, Exportvolumen, Rolle für den Rohstoffmarkt, über Sanktionen und potenzielle Cyber­Risiken. „Wir haben das für jeden Konfliktherd durchdekliniert“, so der FIRM-CEO. „Die Ausprägung und Materialität der Risken unterscheiden sich je nach Konflikt. Daher müssen diese zunächst separat und am Ende konsolidiert betrachtet werden.“

ANSATZ ZUR ADRESSIERUNG DER RISIKEN

Wie geopolitische Risiken in Finanzinstituten adressiert werden können, skizziert Grasshoff zunächst allgemein. Die Definition eines umfassenden, modernen Risikobergriffs ist die Basis, um geopolitische Entwicklungen als Treiber zu inkludieren. Im zweiten Schritt sollte eine qualitative Beschreibung des Risikos inklusive des Mappings der Auswirkungen auf die Risikolandkarte erfolgen. Dann gilt es, die Szenarien konkret zu definieren, die Sensitivitäten auf identifizierte Risikoarten zu berechnen und schließlich das Risiko zu quantifizieren. „Erst dann lassen sich die notwendigen Mitigationsmaßnahmen sinnvoll ableiten“, so Grasshoff, der den Ansatz am konkreten Beispiel „Kreditexposure Bank“ weiter vertieft.

ZWEITRUNDENEFFEKTE SIND WEITREICHEND

Neben der Weiterentwicklung der Stresstestfähigkeit in der Finanzindustrie müsse der Blick auch den Zweitrundeneffekten gelten, was zu Anpassungen in den Schwerpunkten von Politik, Wirtschaft und Regulatorik führen kann. Verteidigungsfähigkeit, innere und äußere Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit sind wichtige Stichworte. „Eine Verlagerung der Schwerpunkte in der Regulatorik hin zu unmittelbaren und dringlichen Herausforderungen kann auch dazu führen, dass langfristige Initiativen und Bestrebungen wie im Bereich ESG vorübergehend in den Hintergrund treten könnten“, erwartet Grasshoff.

Gastvortrag: Immobilienmärkte im Krisenmodus

Bei der FIRM-Mitgliederversammlung war der Immobilienexperte Jens Wilhelm zu Gast. Er zeigt auf, warum es in der aktuellen Krise nicht mehr ausreicht, nur auf Zins- änderungs- und Bewertungsrisiken zu achten.

Wurden die Risiken an den Immobilienmärkten falsch eingeschätzt? Ein Blick auf die Schlagzeilen lässt vermuten, dass die letzten Monate nichts für schwache Nerven waren. Da liegt die Frage nahe, ob sich ein Szenario wie in der Finanzmarktkrise 2007/2008 wiederholt, oder ob die Banken im Risikomanagement heute besser aufgestellt sind. „Der Fall Benko ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass es in der aktuellen Krise nicht nur um Zinsänderungsund Bewertungsrisiken geht“, sagt Jens Wilhelm, der im Vorstand von Union Investment über viele Jahre für das Immobiliengeschäft verantwortlich war. Viele Investoren hätten Reputationsrisiken, Sektorrisiken und auch Zyklusrisiken unterschätzt und stünden deshalb nun auf Benkos langer Schuldenliste.

MARKTBEREINIGUNG NOCH NICHT ABGESCHLOSSEN

Es ist aber nicht nur dieses Beispiel, das offenbart, wie grundlegend sich der Blick aufs Risiko im Immobiliengeschäft
verändern muss. „Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, der verschiedene Risikoarten berücksichtigt“, führt Wilhelm aus. Denn die Herausforderungen an den Immobilienmärkten sind längst nicht bewältigt. Der schnelle Anstieg der Zinssätze hat zu erheblichen Preiskorrekturen geführt, was wieder­ um signifikante Auswirkungen auf die Loan-to-Value-Ratios (LTV) hatte. Bis die daraus resultierenden Bewertungs­ und Finanzierungslücken wieder geschlossen sind, wird aber noch einige Zeit vergehen. „Die Finanzierungskonditionen sind weiterhin restriktiv, die potenzielle Kreditfinanzierungslücke von 36 Mrd. Euro ist immens“, erläutert der Experte.

Jens Wilhelm von PeakBlau sieht die Immobilienmärkte von einer Rückkehr zur Normalität noch ein Stück weit entfernt.

Schlecht ist auch die Stimmung an den Transaktionsmärkten, wenngleich es hier zuletzt leichte Verbesserungstendenzen gab. „Viele Investoren warten weiter ab. Die Unterschiede der Preisvorstellungen zwischen Käufern und Verkäufern sind noch zu groß. Von einer Rückkehr zur Normalität sind wir da­ her noch ein gutes Stück entfernt“, sagt Wilhelm.

GANZHEITLICHER RISIKOANSATZ WICHTIG

Normalität, da ist sich der Experte sicher, wird an den Immobilienmärkten künftig anders aussehen. „Bislang standen klassische Objekt­ und Einzeltransaktionsrisiken im Vordergrund und waren deshalb auch maßgebend für das Risikomanagement“, erklärt er. „Das wird in Zukunft nicht mehr reichen. Risikofaktoren wie Sektor­ und Länderrisiken oder Reputationsrisiken müssen genauso einfließen wie der Blick auf Konzentrationsrisiken im Portfolio oder die operativen Risiken bei der Bewirtschaftung einer Immobilie.“ Auch regulatorische und Nachhaltigkeitsrisiken müssten zentrale Elemente der Bewertung werden.

KEIN FLÄCHENBRAND IN DEUTSCHLAND

Eine aktuelle Einschätzung der globalen Krisenherde zeigt, dass Deutschland der Entwicklung in den USA zeitlich hinter­ herläuft, jedoch kein flächendeckender Ausbruch der Krise wie in der Finanzmarktkrise 2007/2008 erwartet wird. „Das Non­ Performing-Loans-Volumen wird weiter steigen, trifft aber auf überwiegend solide Bilanzen und gute Ertragsentwicklungen bei den Banken“, wertet Wilhelm ein. Schwierig bleibt die Lage bei Projektentwicklern und Bauträgern, Büroimmobilien außerhalb von A­Lagen sowie der Einzelhandel.

Perspektivisch, da ist Wilhelm sicher, wird die operative Bewirtschaftung einer Immobilie stark an Bedeutung gewinnen: „Performance wird in Zukunft nicht mehr nur über die reine Preissteigerung gemacht. Es geht auch darum, den Bestand sinnvoll zu managen und weiterzuentwickeln. Auch ESG-Readiness von Immobilien ist dabei ein wichtiges Thema.“

Impressionen zur Mitgliederversammlung

Veranstaltungsdetails

Mitgliederversammlung
13. März 2024 | 13:00 - 17:00
House of Finance, Goethe Universität